Ich erlaube mir, mit einer Stellungnahme des Club of Rome zu beginnen, die neun Tage vor Kriegsbeginn in der Ukraine veröffentlicht wurde:
„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten 100 Jahre erreicht.“
(Club of Rome, 15.02.2022)
Die Klimakrise, die Auswirkungen der Pandemie, sowie der Invasionskrieg in der Ukraine stellen unsre gesamte Gesellschaft vor ungeahnte Herausforderungen. Wir werden über kurz oder lang nicht umhinkommen, Wachstum und Wohlstand unter den Aspekten der Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit neu zu deklinieren. Übliche Standards und Ansprüche - sowohl im Kommunalen als auch Privaten - müssen hinterfragt und womöglich auf einem anderen Niveau neu definiert werden. Abdingbare Leistungen der Stadt müssen gegebenenfalls zurückgefahren werden, es muss neu priorisiert werden, auch im Hinblick auf Notfall- und Katastrophenschutz.
Wie sieht unter diesen Umständen eine lebensfördernde Zukunft aus und wie können wir sie erreichen?
Das vergangene Jahr 2022 hatte den wärmsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Klimaschutz ist unsere dringlichste Aufgabe. Es reicht nicht, nur von Nachhaltigkeit und dem Klimawandel zu reden, Klimaschutz muss jetzt konsequent umgesetzt werden.
Seit 2015 liegt das integrierte Klimaschutzkonzept für die Stadt Freiberg am Neckar vor. Was ist bislang davon umgesetzt, was muss noch bearbeitet werden, wo muss nachgebessert werden?
Wir brauchen einen weitergehenden, umfassenden Ausbau der Wärmenetze und den kompletten Ersatz fossiler Heizungen durch klimaneutrale Energien in allen Haushalten! Die Maßnahmen zur Senkung des Strombedarfs müssen generell verstärkt werden und nicht nur während der momentanen Krise. Auch beim Ausbau der Photovoltaik ist noch sehr viel Potential, sind noch viele mögliche Flächen vorhanden, aktuell belegen wir einen beschämenden 13. Platz im Landkreis! Photovoltaikanlagen an Südfassaden mit geringer Verschattung werden immer effektiver und dienen auch dem Gebäudeschutz.
Ein Faktor, der die CO2-Emission maßgeblich beeinflusst, ist der Verkehr. Besserer und günstigerer Nahverkehr entlastet nicht nur das Klima, sondern auch die städtische Infrastruktur! Wir brauchen klimafreundliche Mobilitätskonzepte, die auch der voranschreitenden Elektrifizierung der Fahrzeuge Rechnung tragen. Ein gut funktionierendes Ringbussystem, Carsharing-Angebote an attraktiven Standorten und sichere Wege für Zweiradfahrerinnen und Zweiradfahrer, für Fußgängerinnen und Fußgänger können einiges bewirken. Verkehrsplanung muss von den Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern zu Fuß, mit Fahrrädern, Lastenrädern, Rollern, Kinderwägen und Rollatoren usw. aus, gedacht werden, um die Sicherheit und somit auch die Akzeptanz zu erhöhen.
Deutschland erreichte wiederholt die Klimaziele nicht, wie müssen auch auf kommunaler Ebene effektiv etwas tun. Schon ewig wissen wir, dass man Bäume pflanzen muss, nicht nur hier und da, sondern ganz viele. Wir müssen - wo immer es möglich ist - Fassaden begrünen und dies gleich in allen Bebauungsplänen festschreiben – auch in Hinblick auf das neue Zentrum und die Grundschulen. Kann oder muss die neue OPS begrünt werden?
Noch heute werden in Deutschland durch Neubau von Gebäuden und Infrastruktur täglich 70 Hektar, das entspricht ca. 100 Fußballfeldern, versiegelt. Um unseren Planeten langfristig bewohnbar zu erhalten, ist Flächenschutz absolut notwendig. Nachverdichtung, Zweckentfremdungsverbot, Quartiersgaragen, es gibt noch viele Möglichkeiten, der aktuellen Wohnungsnot auch ohne weiteren Flächenfraß zu begegnen. Andere Städte können das! Darüber hinaus ist ernsthaft zu prüfen, welche Flächen entsiegelt, also der Natur zurückgegeben werden können. Noch immer sind 40% der CO2-Emissionen in Deutschland auf den Bausektor zurückzuführen, obwohl die Problematik um Beton schon sehr lange bekannt ist. Alternative Baumaterialien wie Holz, das CO2-neutral ist, sowie Lehm mit sehr guter CO2-Bilanz (85% weniger als Beton) müssen, wo immer es geht, eingesetzt werden! Viele Gebäude werden abgebrochen, obwohl sie modernisiert und energetisch saniert werden könnten. Der aktuelle Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur hierzu:
„Die Zukunft des Bauens liegt in einer neuen Umbaukultur. Angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Energiekrise muss der Kreislauf von fortwährendem Abriss und Neubau unterbrochen werden. Auch eine Wertschätzung für die baukulturellen Leistungen vergangener Epochen, sowie das Bewusstsein für den identitätsstiftenden Charakter von bestehenden Bauwerken und gewachsenen Lebensräumen, sprechen für den Erhalt des Bestandes.“
Die meiste Energie fällt nicht beim Betrieb der Gebäude an, sondern beim Bau. In Bestandsgebäuden, die umgebaut werden, bleibt diese graue Energie erhalten, die beim Abbruch unwiederbringlich verloren geht. Diese Fakten sind bei allen weiteren Baumaßnahmen der Stadt zu bedenken, sei es bei der „Neuen Mitte“, den Grundschulen oder bei Sonstigem.
Zur Linderung künftiger Hitzeperioden sind innerstädtische Maßnahmen zum adaptiven und präventiven Klimaschutz nach den neusten Erkenntnissen kompromisslos umzusetzen!
Exemplarisch sollen nur einige Beispiele erwähnt werden, die auch schon länger auf unserem Forderungskatalog stehen:
Bäume müssen gepflanzt und Fassaden begrünt werden, auf umfassende Dachbegrünung muss gesetzt werden, selbst bei kleinsten Flächen.
Trinkbrunnen und Wasserläufe können zu Abkühlungen führen und Zisternenwassernutzung kann Spitzen und Niederstände der Regenereignisse lindern.
Ein Böllerverbot minimiert die Feinstaubemissionen.
Das Verbot schwarzer Dächer wirkt der Erwärmung der Städte entgegen.
Tempolimits - auch innerorts - sparen Energie und reduzieren den Lärm.
Bereiche des Neckars erlebbar zu machen, erhöht die Naherholungsqualität in Freiberg und reduziert den Verkehr ins Umland, ebenso wie wohnungsnahe Parks und Spielplätze.
Grüninseln und ökologische Pflegemaßnahmen erhalten und erhöhen die Biodiversität.
Diese und noch viele andere Bausteine tragen in ihrer Vielfalt zur Verbesserung des Klimas bei. Nicht alle Maßnahmen sind kostenneutral, aber Klimaschutz rechnet sich angesichts der zu erwartenden Schäden in spätestens 10 bis 15 Jahren. Das Land BW hält für Klimaschutzkonzepte besonders kreativer Gemeinden Fördergelder bis zu 5 Mio. Euro bereit. Bürgerbeteiligung, wie sie im integrierten Klimaschutzkonzept für die Stadt Freiberg am Neckar vorgesehen ist, erhöht auch das bürgerschaftliche Engagement und kann die Kommune sowohl finanziell als auch in Bezug auf den notwendigen Arbeitsaufwand entlasten. Oft reicht eine geringe Anschubfinanzierung, um sinnvolle Projekte umzusetzen. Bürgergenossenschaften für Windkraft und Solarenergien, Patenschaften für Bäume und Grünflächen oder auch Flächen für urban gardening sind Ideen, die in anderen Kommunen erfolgreich umgesetzt werden. Das Difu (Deutsches Institut für Urbanistik) hat 2020 in einer Studie festgestellt, dass auch finanzschwache Kommunen über einen erheblichen Spielraum beim Klimaschutz verfügen und dieser nicht nur die kommunalen Finanzen entlasten kann, sondern sich auch positiv auf die Wertschöpfung vor Ort auswirkt. Dabei müssen manche Projekte „größer“ gedacht werden und interkommunale Lösungen gefunden werden.
Klimaschutz ist eine notwendige Investition in die Lebensgrundlage jetziger aber besonders auch zukünftiger Generationen und daher eine Menschheitsaufgabe. Begriffe wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssen positiv besetzt sein, um die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg zu einer klimaneutralen Kommune mitzunehmen. „Global denken, lokal handeln“ ist dabei immer noch die beste Beschreibung für die notwendige Vorgehensweise. Gemeinsam müssen wir am Projekt Zukunftsfähigkeit unsrer Erde arbeiten, auch in Freiberg.